Deportationen 1942

Deportationen im Frühjahr

Am 20. Januar 1942 hatten die Teilnehmer der sogenannten Wannsee-Konferenz unter dem Vorsitz Reinhard Heydrichs die systematische Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen beschlossen. Mit aller Härte sollte die Auslöschung jüdischen Lebens vorangetrieben werden. Im März 1942 hieß es in einem Erlass der Gestapo-Leitstelle in Stuttgart an die Landräte und Polizeidirektionen, die Deportationen seien der „Beginn der Endlösung der Judenfrage“. Die Absicht, die noch in Württemberg und Hohenzollern lebenden Jüdinnen und Juden in die Lager im besetzten Osten Europas zu verschleppen und dort zu ermorden, war offenkundig.

Die Gestapo selbst wählte 273 Menschen aus, die am 24. April 1942 in der „Ländlichen Gaststätte“ auf dem Killesberg interniert wurden. Gemeinsam mit 367 Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz, Trier und Luxemburg wurden sie am 26. April nach Izbica deportiert. Das Ghetto fungierte als Transitlager in die Vernichtungslager Belzec und Majdanek. Es gab keine sanitären Anlagen, kaum Lebensmittel, die wenigen dort befindlichen Steinhäuser waren hoffnungslos überbelegt, viele mussten trotz Kälte im Freien schlafen. Tödliche Krankheiten wie Typhus bedrohten alle. Wer dort nicht an den Haftbedingungen verstarb, wurde 1942 nach Belzec oder Majdanek weiter deportiert. Von den 273 Menschen aus Württemberg und Hohenzollern überlebte niemand.
Auch die 49 Menschen, die am 13. Juli 1942 von Stuttgart aus nach Auschwitz deportiert wurden, sollten ihre Heimat nie wiedersehen. Die übrigen Jüdinnen und Juden, die zurückgeblieben waren, wurden bald Opfer des wahnhaften Bestrebens der Nationalsozialisten, Württemberg und Hohenzollern endgültig „judenfrei“ zu machen.

 

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Deportation nach Theresienstadt im August

Am 14. August 1942 erging erneut ein Erlass der Gestapo: Weitere 1.000 Personen sollten aus Württemberg und Hohenzollern deportiert werden. Die Betroffenen waren Zeug:innen davon geworden, wie ihre Freunde, Familienmitglieder und Nachbarn seit November 1941 fortgebracht worden waren. Eine Reihe von Betroffenen entzog sich der Deportation und dem drohenden qualvollen Tod in der Lagerhaft durch Suizid.

420 Jüdinnen und Juden u. a. aus Baisingen, Laupheim, Ulm, Dellmensingen, Oberstotzingen, Haigerloch, Tübingen, Tigerfeld, Rexingen, Eschenau, Heilbronn und Oberdorf wurden gezwungen, am 19. August 1942 die Züge zum Sammellager Killesberg in Stuttgart zu besteigen. Vor allem geschwächte Personen wurden deportiert – Alte und Kranke, die von der ersten Deportation nach Riga noch ausdrücklich ausgenommen worden waren. Unter ihnen waren auch 82 Bewohner:innen und Beschäftigte des jüdischen Zwangsaltenheims Eschenau.

Auf dem Killesberg wurden sie nun gemeinsam mit etwa 500 Stuttgarter Jüdinnen und Juden interniert. Ungeachtet ihrer Gebrechlichkeit mussten sie Leibesvisitationen über sich ergehen lassen, bei denen sie ihrer letzten Wertgegenstände beraubt wurden. 20 Menschen starben bereits auf dem Killesberg.

In den frühen Morgenstunden des 22. August – am Sabbat – fuhr der von bewaffneten Schutzpolizisten und zwei Gestapo-Beamten eskortierte Sonderzug vom Stuttgarter Nordbahnhof Richtung Theresienstadt ab. Die Hoffnungen auf eine menschenwürdige Behandlung und Unterbringung in Theresienstadt wurden rasch zerschlagen. Heimeinkaufsverträge, die mit den Jüdinnen und Juden zuvor abgeschlossen worden waren, hatten die Erwartung geweckt, dort in einem Zimmer eines Altenheims in Ruhe und Würde den Lebensabend verbringen zu dürfen. Vor Ort bot sich den Deportierten ein von den Versprechungen völlig abweichendes, schockierendes Bild: Die ehemalige Garnisonsstadt war bei ihrer Ankunft heillos überfüllt. Im November 1941 war dort ein Konzentrationslager für Jüdinnen und Juden aus Böhmen und Mähren eingerichtet worden, das im Frühjahr 1942 zum „Altersghetto“ für alte und prominente Jüdinnen und Juden sowie als Transitlager zu den Vernichtungsstätten ausgebaut wurde. Die Kulissen eines vermeintlich friedlichen Siedlungslebens, die im Zuge eines Besuches des Internationalen Roten Kreuzes 1944 erschaffen wurden, konnten vielleicht die internationalen Beobachter:innen täuschen, doch hinter den Fassaden spielte sich unbegreifliches Elend ab.

Die Deportierten mussten auf dem harten Fußboden schlafen. Mangelversorgung, kaum Zugang zu Sanitäranlagen und katastrophale hygienische Zustände rafften innerhalb kürzester Zeit die geschwächten Menschen dahin. Trotz der Bemühungen ihres Pflegepersonals, das sein Möglichstes tat, um eine gewisse medizinische Versorgung und Hygiene sicherzustellen, starben 35 ehemalige Bewohner:innen des Zwangsaltenheims Eschenau schon in den ersten Wochen. Die meisten anderen der aus Stuttgart Verschleppten wurden bis zum Winter selektiert, in die Vernichtungslager Maly Trostinez und Treblinka weiterdeportiert und dort ermordet.

Als das Lager am 9. Mai 1945 befreit wurde, lebten nur noch 48 Personen des Transports vom 22. August 1942. Der Großteil von ihnen war als medizinisches Personal oder in der Küche im Ghetto tätig gewesen und auf diese Weise den Selektionen und dem sicheren Tod in den Vernichtungslagern entkommen.


Text: Linda Huber nach LpB Baden-Württemberg (Hrsg.): „Wir fragten uns, ob wir unser Zuhause je wiedersehen würden.“ Die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 bis 1945, MATERIALIEN, Stuttgart 2021.

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