Juristische Aufarbeitung und Erinnerungskultur nach 1945

Der juristische Umgang mit den Deportationsverbrechen

Zwischen 1933 bis 1945 war das jüdische Leben in Württemberg und Hohenzollern ausgelöscht worden. Zahlreiche Jüdinnen und Juden waren aufgrund des zunehmenden Drucks von Seiten des NS-Regimes bereits in den 1930er Jahren emigriert. Die Zurückgebliebenen waren Opfer der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten geworden. Die wenigen, die die Deportationen und Lager überlebt hatten, standen 1945 vor den Trümmern ihrer Existenz. Viele ihrer Angehörigen, Freunde und Bekannten waren ermordet worden.

Diejenigen, die in die Heimat zurückkehrten, sahen sich oft nicht nur mit fehlendem Schuldbewusstsein konfrontiert, sondern auch weiterhin mit antijüdischen Ressentiments. Wer die Unterdrückung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung schweigend akzeptiert oder gar davon profitiert hatte, gestand selten eine Mitverantwortung ein. Prozesse gegen diejenigen, die die systematische Verschleppung und Ermordung der württembergischen und hohenzollerischen Jüdinnen und Juden durch ihre Funktionen in lokalen Behörden und Ämtern ermöglicht, unterstützt und organisiert hatten, stießen in der Bevölkerung oft auf Unverständnis.

Als beispielsweise der ehemalige Hechinger Landrat Paul Schraermeyer 1947 in einem Prozess wegen „Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu 27 Monaten Haft verurteilt wurde, reagierte die Öffentlichkeit mit großer Empörung. Schraermeyer hatte sich auf seine angebliche Unwissenheit berufen. Von der Jüdischen Kultusvereinigung sei er unterrichtet worden, es handle sich bei den Deportationen „lediglich“ um Umsiedlungen. Er habe sein Möglichstes getan, um es den Betroffenen so einfach wie möglich zu machen. Insgeheim habe er das Vorgehen der Nationalsozialisten abgelehnt, sei aber im Amt geblieben, „um noch Schlimmeres zu verhüten und zu retten was zu retten ist.“ Er griff damit auf ein Argument zurück, das nach 1945 oft von Personen in verantwortlichen Positionen zur eigenen Verteidigung verwendet wurde. Ein Jahr nach dem Schuldspruch wurde der ehemalige Landrat in einem Revisionsprozess freigesprochen. Es war das einzige Verfahren in Westdeutschland, das versuchte, Mitarbeiter:innen aus der Zivilverwaltung, die an der Organisation und Durchführung der Deportationen beteiligt gewesen waren, zur Verantwortung zu ziehen.

 

Andere Verantwortliche flüchteten sich hinter das Argument des Befehlsnotstands oder entzogen sich, wie der Leiter der Gestapo-Leitstelle in Stuttgart, Friedrich Mußgay, durch Suizid möglichen juristischen Konsequenzen. 1952 endete ein Prozess gegen Beamte der Gestapo-Leistelle Stuttgart mit Freisprüchen. Unter den Angeklagten waren auch die Sachbearbeiter im „Judenreferat“ Eugen Ott und Alfred Amthor, die Mitverantwortung an der Planung der Deportationen getragen, die Abläufe auf dem Killesberg koordiniert und einige der Züge begleitet hatten.

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Gedenken und Erinnerung

Die Erinnerung an die Entrechtung und Ermordung der württembergischen und hohenzollerischen Jüdinnen und Juden wurde im Deutschland der Nachkriegszeit von Einzelnen getragen, die häufig selbst Opfer des NS-Regimes geworden waren. Die Mehrheitsgesellschaft war von Verdrängung und Beschweigen geprägt.

Ein erster Gedenkstein für die württembergischen und hohenzollerischen Opfer des Holocaust wurde 1945 durch den Überlebenden Victor Marx auf dem Jüdischen Friedhof in Wankheim errichtet. Der Stein erinnerte an die damals 14 bekannten Opfer aus seiner Heimatgemeinde Tübingen, darunter seine Mutter, seine Frau und die erst achtjährige Tochter. Weitere Gedenksteine stellten Hinterbliebene in den Jahren 1947/48 u. a. auf den Friedhöfen in Rexingen und Baisingen auf.

Als im Jahr 1950 wieder eine Reichsgartenschau auf dem Stuttgarter Killesberg stattfinden sollte, schlug die jüdische Gemeinde eine Einladung aufgrund des unsensiblen Umgangs mit dem Ort aus. Keine der Eröffnungsreden erinnerte daran, dass sich hier das Sammellager für die Deportationen befunden hatte. Erst zwölf Jahre später wurde auf Initiative der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Evangelischen Kirche ein Gedenkstein eingeweiht.

Seit 1989 wird auf dem Stuttgarter Killesberg anlässlich des Jahrestages der ersten Deportation nach Riga am 1. Dezember 1941 der Opfer gedacht. Zunächst durch die Evangelische Kirche veranstaltet, wurden die Gedenkfeiern seit 1994 auch von der Stadt Stuttgart, der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit mitverantwortet.

2008 wurde eine Neugestaltung des Gedenkorts durch eine Bürgerinitiative angeregt. Der von zwei Informationsstelen flankierte „Erinnerungskörper“ der Künstlerin Ülkü Süngün erinnert an die Ermordeten. Ein in den Boden eingelassener Stahlring ist so bemessen, dass darin 2.000 Personen stehen könnten. Sie stehen sinnbildlich für all jene, die vom Sammellager Killesberg aus in die Konzentrations- und Vernichtungslager im besetzten Osten Europas verschleppt und dort ermordet worden waren.

Auch am Stuttgarter Nordbahnhof, von dem aus die Deportationszüge in die Konzentrations- und Vernichtungslager abfuhren, wurde 2006 eine Gedenkstätte eingeweiht. Es ist dem Engagement Stuttgarter Bürger:innen zu verdanken, dass die Gleisanlagen nicht durch das Großprojekt „Stuttgart 21“ überbaut wurden. Der Info-Laden Stuttgart 21 „Auf der Prag“ e. V., die „Stiftung Geißstraße 7“ und die Evangelische Nordgemeinde klärten die Öffentlichkeit über die Geschichte des Orts auf und gründeten 2004 den Verein „Zeichen der Erinnerung“. Mittels eines Architekturwettbewerbes wurde ein Entwurf für die Gestaltung einer Gedenkstätte ausgearbeitet. 2005 erfolgte die Zustimmung durch den Gemeinderat, der das Areal zur Verfügung stellte und sich hälftig an den Kosten für den Aufbau der Gedenkstätte beteiligte. Seit 2006 erinnert dort eine Namenswand an 2.216 deportierte Jüdinnen und Juden sowie an 234 Sinti, Sintize, Roma und Romnja. Weitere Tafeln informieren Besucher:innen über die historischen Hintergründe, Deportationsdaten und Todesorte. 2022 sollen die Namen weiterer Opfer auf den Tafeln angebracht werden.

Neben den Gedenkorten auf dem Killesberg und am Nordbahnhof erinnern heute in ganz Baden-Württemberg Gedenkstätten und -initiativen an die Opfer der Deportationen der jüdischen Bevölkerung. Die Vielzahl der Gedenkstätten bildet die Vielfalt der jüdischen Gemeinden ab und zeigt, dass nationalsozialistischer Terror und Unrecht allgegenwärtig waren. Die Gedenkstätten sind wichtige Orte der Erinnerung und der historisch-politischen Bildung.


Text: Linda Huber nach LpB Baden-Württemberg (Hrsg.): „Wir fragten uns, ob wir unser Zuhause je wiedersehen würden.“ Die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 bis 1945, MATERIALIEN, Stuttgart 2021.

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